Inside CEO Coaching: Wie die Persönlichkeit von Vorgesetzten die Teamdynamik stören kann

aktualisiert am 20. Oktober 2023 16 Minuten zu lesen
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Warum haben viele CEOs trotz Bemühungen und bester Absichten einen starken negativen Einfluss auf ihr Team? Europas führender Startup Coach Julius Bachmann analysiert solche Fälle im Detail. Hier berichtet er von seiner Arbeit mit erfolgreichen Unternehmer:innen und zeigt Lösungsansätze auf.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum Sie als Vorgesetzte oder Vorgesetzter negativ auf die Funktionalität Ihres Teams einwirken? Wie kommt es, dass Sie zwar mit den besten Absichten an die Sache herangehen, sich aber in der Dynamik Ihres Teams am Ende wie eine Abrissbirne verhalten? Die Antwort dazu liefert die Psychologie.


julius bachmann 300Julius Bachmann ist einer der führenden Executive Coaches für Unternehmer in Europa. Auf Basis seiner Erfahrung als Investor, CFO und Gründer arbeitete er mit bisher über 150 Klienten ganzheitlich an deren persönlichem Wachstum und geschäftlichen Herausforderungen. Sein Ziel ist es, Unternehmertum menschlicher zu gestalten. Bachmann lebt und arbeitet in Berlin.

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Bekenntnisse eines Unruhestifters

Vor Jahren habe ich in einem Startup gearbeitet, in das ich nicht so richtig hinein passte und zu dem ich nichts beitragen konnte, auf das ich wirklich stolz war. Ich bin ständig in Streitigkeiten und Konflikte mit Kollegen geraten.

Was genau habe ich damals angerichtet? Ich habe zum Beispiel wichtigen Managern verheimlicht, dass Geschäftsführer das Unternehmen kurzfristig verlassen würden. Das kam am Ende natürlich raus. Ich habe Management-Workshops geplant, deren Entscheidungen bereits alle getroffen waren: eine Inszenierung der Einbindung des Teams, nachdem die Tinte bereits trocken war. All das flog mir während der Sitzung um die Ohren. Ich führte überbordende Strategie- und Controlling-Prozesse ein, die monatelang über 50 Kollegen lahmlegen sollten. OKRs wurde zum Unwort des Jahres. Am Ende kaufte ich eine Palette viel zu teurer Software-Lösungen ein, die meine Fehler lösen sollten. Aber wie sagt man so schön? A fool with a tool is still a fool. Ich könnte diese Liste noch eine ganze Weile fortsetzen.

Lange Zeit habe ich nicht herausfinden können, warum ich mich so verhalten habe. Es kam mir vor, als würde ich eine Rolle spielen, die für jemand anderen geschrieben war; in einem Drama, in dem mir nur die Rolle des Bösewichts zur Verfügung stand. Dementsprechend schlüpfte ich in genau diese Rolle – egal ob ich mich dabei wohl fühlte oder nicht. Mir wurde klar, dass ich an einer Vorstellung davon festhielt, wie ich mich verhalten sollte, anstatt den Zielen des Unternehmens zu dienen.

Die Beobachtung meines eigenen Verhaltens und die Frage, wie ich mich so weit von meinen eigenen Idealen einer bewussten Führungskraft entfernen konnte, brachten mich dazu, mit einem Coach zu arbeiten und schließlich selbst Coach zu werden.

 

Warum wir in manchen Teams ungewollt aufrührerisch werden

Drei Jahre Forschung und innere Arbeit später möchte ich mit Ihnen ein wenig von dem teilen, was ich über Situationen wie diese gelernt habe. Ich möchte zwei Modelle aus der psychologischen Forschung vorstellen, die ich auf mich selbst und später auch in meiner Coaching-Praxis angewendet habe. Außerdem gebe ich Ihnen zwei Übungen an die Hand, die jeder in seinem eigenen Tempo ausprobieren kann.

Wichtiger Hinweis vorab: Wenn Sie in der Vergangenheit unter psychischen Erkrankungen gelitten haben und/oder glauben, dass Sie aktuell unter psychischen Problemen leiden, suchen Sie sich bitte ärztliche Unterstützung. Diese Übungen sollten nicht als Ersatz für eine professionelle Therapie angesehen werden.

 

Die vielen Rollen, die wir ausfüllen

Ich habe viele Rollen: Als Leiter meines Teams treffe ich die Entscheidungen und trage die Verantwortung. Ich bin Mentor und manchmal auch Coach der Teammitglieder. Als Ehemann bin ich manchmal der spielerische Mitentdecker unseres Lebens, manchmal ein unsicherer, störrischer kleiner Junge und manchmal die Schulter zum Anlehnen. Jede einzelne dieser Rollen ist mit bestimmten Verhaltensweisen verbunden; jede einzelne Rolle ist Teil meiner Persönlichkeit.

Sie können den gleichen Gedanken auf die Rollen anwenden, die Sie in Ihrem Team auf verschiedenen Ebenen einnehmen. Das können sein:

  • Formale, organisatorische Rollen (Marketing- oder Finanz-Spezialist)
  • Funktionale Rollen (Analytisches Genie oder Beziehungsgestalter)
  • Verhaltensbezogene Rollen (Herz des Teams, Herausforderer oder mutiger Entscheidungsträger)

Das habe ich mir nicht ausgedacht: Das Internal Family Systems-Modell wurde in den letzten 40 Jahren auf der Grundlage evidenzbasierter psychologischer Forschung unter der Leitung des amerikanischen Psychologen Dr. Richard Schwartz entwickelt. IFS geht davon aus, dass „der Geist von Natur aus vielfältig ist (…) und unsere inneren Anteile wertvolle Qualitäten enthalten.“

Rollen sind konditionierte Verhaltensweisen, also Verhaltensweisen, die Sie unbewusst einnehmen und die zuvor geprägt wurden. Ein Großteil dieser Prägung fand statt, als wir aufwuchsen: in unseren Familien, in Schulen und in unserer frühen Karriere. Für mich war die Schule ein wichtiger Faktor, der bestimmt hat, wie ich mich im Alter zwischen 20 und 30 verhalten habe. Als Führungskraft in einem Startup wurde ein Teil dieses Verhaltens in meiner neuen Umgebung ausgelöst. Das Problem: 20 Jahre später war es völlig fehl am Platz.

Ich musste mir einiges davon auf die harte Tour abgewöhnen.

 

Wie Beziehungsverhalten über Generationen hinweg fortbestehen kann

Beziehungen können eine eigene Dynamik entwickeln, die ihre einzelnen Mitglieder überdauern. Psychologen konnten wiederkehrendes Beziehungsverhalten in Familien identifizieren, die vor vielen Generationen entstanden sind (Family Evaluation, Michael E. Kerr and Murray Bowen, 1988). Diese Forschung hat gezeigt, dass Sie, sobald zwischen mehr als zwei Personen eine Beziehung besteht, einen Beziehungsmotor aufgebaut haben, der Generationen überdauern kann.

Dies wird besonders relevant, wenn wir über eine Beziehung zwischen mehr als zwei Personen sprechen. Stellen wir uns eine Beziehung zwischen drei Mitgründern vor: Im Laufe der Zeit kultivieren diese drei Personen ihre Dreiecksbeziehung. Sie entwickeln unbewusst Verhaltensweisen füreinander, bis sie zur Gewohnheit werden. Manchmal rücken zwei von ihnen näher zusammen, und manchmal entfernen sie sich voneinander.

Stellen Sie sich nun vor, dass das Beziehungsdreieck konstant bleibt, während eine der Personen ausgetauscht wird. Die beiden verbleibenden Mitbegründer verhalten sich immer noch gleich – schließlich sind sie sich der Gewohnheiten nicht bewusst, die sie im Laufe dieser Beziehung aufgebaut haben. Die Beziehung als eigenständige Einheit ist intakt geblieben, auch wenn einer der Mitbegründer das Unternehmen verlassen hat und ein anderer an seine Stelle getreten ist.

Wenn Sie morgen zu diesem Team stoßen würden, könnten Sie unbewusst dazu verleitet werden, sich genauso zu verhalten wie Ihr Vorgänger. Das Verhalten Ihrer beiden neuen Kollegen wird darauf ausgerichtet sein, die gleiche Beziehungsdynamik aufrechtzuerhalten. Als Neuankömmling sind Sie Teil desselben Dreiecks, das Verhaltensmustern unterliegt, die nichts mit Ihnen zu tun haben. Ihr Verhalten wird einerseits von der Konditionierung geprägt sein, die in der ursprünglichen Formation stattgefunden hat. Sie werden andererseits auch Ihre eigene Note in die Beziehung einbringen. Da Ihre beiden Team-Kolleg:innen jedoch in einem sehr etablierten Verhaltensmuster gefangen sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie eine bestimmte Rolle innerhalb dieses Musters einnehmen werden.

Spulen Sie 10 Jahre vor: Die beiden anderen Mitbegründer haben das Unternehmen verlassen und ein neues Trio ist entstanden. Wenn man sie sich selbst überlässt, kann es sein, dass dieses „neue“ Dreieck immer noch die Beziehungsdynamik des ursprünglichen Trios nachspielt. Der Übertragungsmechanismus dieses Beziehungssystems ist in vollem Gange und hat gerade eine ganze Generation seiner Mitglieder überdauert.

 

Übungen für Sie zum Ausprobieren

Ich weiß, das ist ziemlich abstrakt: Ich habe zwei Übungen vorbereitet, die Sie mit nach Hause oder an Ihren Arbeitsplatz nehmen können, um diese Theorie besser zu veranschaulichen. Ich habe beide mit meinen Coaching-Kunden angewandt, doch auch Sie sollten in der Lage sein, sie selbst durchzuführen.

#1 Benennen Sie die Beziehung zu einer Person

Der Zweck dieser Übung ist es, sich die Muster der Beziehung zu einer Team-Kollegin oder einem Team-Kollegen bewusst zu machen, einen Schritt zurückzutreten und darüber zu sprechen, ohne Schuldzuweisungen zu machen.

Versuchen Sie, der Beziehung einen Namen zu geben und ihr eine eigene Persönlichkeit zu geben – zum Beispiel Tante Anne.

  1. Fragen Sie sich: Wie verhält sich diese Person? Was sind ihre Muster?
  2. Wie ist die Person aufgewachsen? Was waren die prägenden Momente und Personen in ihrem Leben?
  3. Was braucht er oder sie, um zu gedeihen? Was macht sie oder ihn ärgerlich?

Dies wird Ihnen nicht nur helfen, die Muster einer Beziehung und Ihr eigenes Verhalten besser zu verstehen, sondern es wird Ihnen auch ermöglichen, leichter zu erkennen, wenn Sie Ihr Standardverhalten an den Tag legen, ohne es zu merken.

#2 Meine Rollen erforschen

Sie können keine Entscheidungen treffen, wenn Sie nicht wissen, dass es sie gibt. Bei dieser zweiten Übung geht es darum, sich die Rollen bewusst zu machen, in denen Sie leben und wie diese Sie beeinflussen.

Zum Hintergrund: Letztes Jahr habe ich mit der CEO eines Scale-up-Unternehmens als Klientin gearbeitet. Während unserer Sitzungen fiel schnell auf, dass ihr Führungsstil viel volatiler wirkte als beabsichtigt. Wir spielten dieses Verhalten am Beispiel der Arbeitsbeziehung mit ihrer Marketingchefin durch. Meine CEO-Klientin beobachtete, wie sie in der Kommunikation mit ihrer Mitarbeiterin unbewusst zwischen den Rollen der „Firmeninhaberin“, der „CEO“, der „Freundin“ oder des „Coaches“ einnahm – und noch viele andere Rollen mehr, die ein jeweils unterschiedliches Verhalten mit sich brachten. Letztendlich hatten wir neun verschiedene Rollen identifiziert, die bei dieser Beziehung “mitspielen” durften. Erst die Klarheit darüber, welche Rollen sie unbewusst an den Arbeitsplatz mitbrachte, half meine Klientin, ihren Führungsstil bewusst zu gestalten.

Hier finden Sie eine ganze Reihe von Fragen, von denen wir einige in unseren Sitzungen durchgespielt haben und die Sie sich in Bezug auf die Rollen, die Sie spielen, stellen können:

  1. Welche Rollen nehme ich ein? Welche Beziehung habe ich zu diesen Rollen? Welche von ihnen sind für mich selbstverständlich und zu welchen habe ich ein gespanntes Verhältnis? Einige unserer Rollen sind gut eingespielt, andere brauchen etwas Übung.
  2. Wie werden diese Rollen in mir ausgelöst? Kann ich mit diesen Auslösern umgehen? Inwieweit bin ich mir diesen Rollen im Moment bewusst?
  3. Wie sind diese verschiedenen Rollen zustande gekommen? Sind sie mir vor allem von außen zugewiesen worden? Welche Rollen habe ich selbst bewusst geprägt?
  4. Wie möchte ich mich in meinen verschiedenen Rollen verhalten? Was muss geschehen, damit ich diese Veränderung umsetzen kann? Was ist der Grund, warum ich mich ändern möchte?

 

Eine Warnung

Abschließend noch ein Hinweis zur Vorsicht: Die in diesem Artikel dargelegten Theorien zeigen, warum wir bei der Verwendung von Persönlichkeitstests vorsichtig sein müssen. Unser Verhalten ist viel dynamischer und voneinander abhängig, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Je bewusster wir uns machen, wie wir uns in der Welt präsentieren, desto authentischer können wir uns mit unserem Verhalten fühlen.

Bitte verwenden Sie diese Konzepte niemals, um anderen die Schuld dafür zu geben, dass Sie in eine Rolle gedrängt werden. Dieses Modell soll nur dazu dienen, Ihnen die Beziehungsdynamik in der Gruppe bewusst zu machen und Sie zu befähigen, sie bewusst zu verarbeiten.

Wenn diese Konzepte mehr Bewusstsein schaffen und Ihnen helfen, Ihr eigenes Verhalten zu ändern, dann habe ich meine Arbeit gut gemacht. Alle unsere Persönlichkeiten haben viele Facetten. Werden Sie sich bewusster, wie diese Charaktereigenschaften die Person formen können, die Sie sein möchten. Die Persönlichkeit ist nicht konstant, und wenn wir uns innerlich anstrengen, können wir unser bestmögliches Selbst zum Vorschein bringen.

Mein Erlebnis vor einigen Jahren hat mir geholfen, mir vieler meiner Auslöser bewusst zu werden und mein Verhalten zu ändern: Heute weiß ich, dass es eine Mischung aus einer Rolle (in der ich sozial und beruflich unsicher war und versuchte, mich selbst zu bestätigen) und dem Beziehungssystem war. Es inspirierte mich zu meiner persönlichen Entwicklung und schließlich dazu, Coach zu werden. Ohne diese Lernerfahrung – so unangenehm sie auch war – wäre ich nicht die Person, die ich heute bin.

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Quellen:

  • Hardy B. (2020). Personality isn’t permanent : break free from self-limiting beliefs and rewrite your story. Portfolio Penguin.
  • Kerr M. E. & Bowen M. (1988). Family evaluation : an approach based on bowen theory (1st ed.). Norton
  • (n.d.). Internal Family Systems. Institute Website. Retrieved January 31, 2023, from https://ifs-institute.com/
  • Schwartz, R. C., & Sweezy, M. (2020). Internal family systems therapy (2nd ed.). The Guilford Press.

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