Scheinselbständigkeit: Kriterien und Checkliste für Freiberufler

Freelancing, Gig-Working oder eine klassische freiberufliche Tätigkeit – Das Sprektrum der Selbständigen wird immer größer. In diesem Zusammenhang ist Scheinselbständigkeit ein nicht zu unterschätzendes Risiko: Wer solo-selbständig ohne Mitarbeiter tätig ist, riskiert häufig, von Behörden als scheinselbständig eingestuft zu werden. Erfahren Sie, welche Kriterien entscheidend für die Bewertung sind.

 

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Was ist Scheinselbständigkeit?

Als scheinselbständig gelten Erwerbstätige, die laut Vertragsverhältnis als Selbständige tätig sind, sich aber aufgrund der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit tatsächlich in einem sozialversicherungspflichtigen, abhängigen Beschäftigungsverhältnis befinden. Weil der Arbeitgeber und scheinselbständige Arbeitnehmer so die Zahlung von Lohnsteuer und Sozialbeiträgen umgehen, werden Fälle von Scheinselbständigkeit bestraft. Für die Feststellung einer scheinselbständigen Tätigkeit gibt es eine Reihe von Kriterien, die der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung im Verdachtsfall überprüft.

 

Wer ist selbständig tätig?

Maßgeblich für die juristische Abgrenzung zwischen Selbständigen und Arbeitnehmern sind die Vorgaben des Sozialgesetzbuches (§ 7 Abs. 1 SGB IV).

  • Tätigkeit kann frei gestaltet werden
  • Arbeitszeit kann eigenverantwortlich bestimmt werden
  • Arbeitskraft kann frei eingesetzt werden
  • Unternehmerische Entscheidungsfreiheit
  • Unternehmerisches Risiko

Selbständige sind mit einigen Ausnahmen nicht dazu verpflichtet, sich in der gesetzlichen Sozialversicherung zu versichern.

 

Wer ist häufig vom Verdacht einer scheinselbständigen Tätigkeit betroffen?

Grundsätzlich betrifft das Risiko immer Freelancer oder freie Mitarbeiter, die einem auftraggebenden Unternehmen ihre Dienste zur Verfügung stellen. Da der Begriff „Freelancer” rechtlich nicht definiert ist, gehören diese Solo-Unternehmer allesamt zur Gruppe mit Risiko auf eine scheinselbständige Tätigkeit:

  • Freiberufler ohne Angestellte
  • Gewerbetreibende Einzelunternehmer ohne Angestellte
  • Einzelkaufleute ohne Angestellte
  • Gesellschafter einer GbR ohne Angestellte

Diese Risikogruppen überschneiden sich mit den so genannten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen.

 

Kapitalgesellschaft und Scheinselbständigkeit

Wer eine Ein-Personen-Kapitalgesellschaft (UG, GmbH o. ä.) besitzt, trägt in der Regel kein Risiko einer Scheinselbständigkeit im Außenverhältnis, da Aufträge mit dem Unternehmen, also einer juristischen Person, abgeschlossen werden. Das heißt das Unternehmen, dass die UG oder GmbH beauftragt, läuft nicht Gefahr, Nachforderungen der Lohnsteuer oder von Versicherungsbeiträgen leisten zu müssen.

Die GmbH oder UG ist allerdings keine geeignete Alternative, um eine Scheinselbständigkeit und Versicherungspflichten im Innenverhältnis zu umgehen: Solo-Gründer sollten unbedingt beachten, dass sie als Gesellschafter-Geschäftsführer sehr wohl unter den Verdacht einer Scheinselbständigkeit geraten könnten. Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass der Geschäftsführer im Regelfall ein abhängiger Angestellter der Gesellschaft und somit rentenversicherungspflichtig ist. Wer zum Beispiel als Geschäftsführer mehr als fünf Sechstel seiner Zeit im Auftrag der Firma tätig ist, wird als Arbeitnehmer gewertet. Dabei ist die eigene Kapitalgesellschaft der alleinige „Auftraggeber” des Geschäftsführers. Im Einzelfall entscheiden jedoch mehrere Kriterien über die Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers.

GbR: Rechtsform schützt nicht vor Scheinselbständigkeit

Entgegen vieler Meinungen im Internet schützt die Gründung einer GbR nicht vor dem Verdacht einer Scheinselbständigkeit. Die GbR-Gesellschafter sind weiterhin als natürliche Personen (Freiberufler oder Einzelunternehmer) tätig und in der Regel von der Rentenversicherungspflicht befreit. Der einzige Unterschied zu Solo-Selbständigen liegt darin, dass die Finanzbehörde weniger häufig nachhakt, ob die Organisation als GbR ein tatsächliches Beschäftigungsverhältnis verschleiert.

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Scheinselbständigkeit: Kriterien

Ob Sie scheinselbständig tätig sind oder nicht, kann häufig nicht mit einem klarem Ja oder Nein beantwortet werden. Auch der Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) würde im Verdachtsfall eine individuelle Prüfung vornehmen.

  1. Sie arbeiten alleine und beschäftigen keine Mitarbeiter. (Minijobber  werden dabei nicht berücksichtigt)
  2. Sie sind regelmäßig oder über lange Zeit für nur einen Auftraggeber tätig.
  3. 85 % Ihrer gesamten Umsätze werden durch einen Auftraggeber generiert.
  4. Bei Ihrem (Haupt-)Auftraggeber waren Sie vorher als Arbeitnehmer angestellt und haben in diesem Zeitraum dieselbe Tätigkeit ausgeführt oder im selben Arbeitsbereich gearbeitet.
  5. Ihre Arbeiten werden größtenteils am Arbeitsplatz im Unternehmen verrichtet.
  6. Ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit ist eingeschränkt oder gar nicht vorhanden, zum Beispiel wenn Preise von Ihrem Auftraggeber vorgegeben werden.
  7. Sie müssen alle Aufträge Ihres Auftraggebers übernehmen und haben nicht die Möglichkeit, Arbeiten abzulehnen oder an Dritte abzugeben.
  8. Der Auftraggeber erteilt Ihnen verbindliche Weisungen und Vorgaben zu Arbeitszeiten, Urlaubszeiten und zur Ausführung der Tätigkeit.
  9. Sie sind in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingebunden (z. B. Platzierung auf der Team-Seite des Internetauftritts, Überstundenvergütung, Bereitstellung von Arbeitsmitteln, Teilnahme an Meetings)
  10. Ihre Leistungen werden unterdurchschnittlich vergütet (Höhe der Vergütung entspricht der eines Angestellten im auftraggebenden Unternehmen, der dieselben oder ähnliche Aufgaben übernimmt)
  11. Sie betreiben keinerlei eigene Marketing-Maßnahmen

Wichtig: Alle diese Punkte sind nicht als K.O.-Kriterien zu verstehen, sondern als einzelne Indizien, die für eine Scheinselbständigkeit sprechen.

 

Scheinselbständigkeit Checkliste: Risiken vermeiden

Für Ihre Checkliste sollten Sie zwei Kernbereiche unterscheiden: Die Ausgestaltung Ihres Vertrags mit dem Auftraggeber und die tatsächliche Gestaltung der Zusammenarbeit. Bei einer Prüfung werden nämlich beide Aspekte untersucht.

🗸 Vertragswerk

Die Bezeichnung der Vertragsart (Dienstvertrag oder Werkvertrag) ist nicht maßgeblich, aber die Inhalte. Prüfen Sie deshalb immer gründlich, ob und wie genau die folgenden Punkte vertraglich geregelt sind.

🗸 Arbeitsplatz

Sie entscheiden selbst, wo Sie arbeiten. Daher sollte keine Angabe dazu im Auftrag enthalten sein. Weisungen dazu sollten Sie ablehnen.

🗸 Weisungsrecht

Sie sind Dienstleister und Reklamationen Ihrer Kunden sind legitim. Allerdings darf Ihr Auftraggeber Ihnen keine typischen Weisungen erteilen wie etwa: „Stellen Sie Aufgabe X bis morgen fertig.” oder „Bitte erscheinen Sie zum Pflicht-Meeting um 16 Uhr im Betrieb”. In diesem Fall sollten Sie den Auftraggeber freundlich daran erinnern, dass Sie kein Mitarbeiter sind. Zusätzliche Aufträge, die nicht im Umfang des ursprünglichen Vertrags enthalten sind, sollten Sie ablehnen.

🗸 Arbeitszeiten

Sie gestalten Ihren Arbeits- und Abwesenheitszeiten selbst, solange Sie die vertraglichen Vorgaben einhalten. Wann Sie also in den Urlaub fahren, kann Ihnen niemand vorschreiben.

🗸 Unabhängiger Marktauftritt

Die eigene Website mit Produkt- und Preisliste ist ein guter Start, um als eigenständiger Unternehmer wahrgenommen zu werden. Wenn das Firmenlogo Ihres Auftraggebers allerdings auf Ihren Visitenkarten oder Ihrer Website zu finden ist, spricht dies für eine starke Abhängigkeit. Ihr Name hat umgekehrt nichts auf der Website des Auftraggebers zu suchen. Auch für den Fall, dass Sie dort explizit als „externer Berater” o. ä. genannt werden, spricht dies trotzdem für eine permanente Zusammenarbeit, die zu Ihren Ungunsten ausgelegt werden kann.

🗸 Marketing

Wer neue Kunden gewinnen möchte, führt im Normalfall Werbemaßnahmen durch. Fehlen entsprechende Ausgaben für die Selbstpräsentation, könnte der Rentenversicherer bereits stutzig werden. Finanzielle Engpässe oder Auftragsauslastungen sprechen natürlich gegen Investitionen in das eigene Marketing.

🗸 Outsourcing

Als freier Mitarbeiter dürfen Sie Aufgaben an Dritte abgeben. Wird Ihnen das Auslagern bestimmter Teilaufgaben (vertraglich) untersagt, ist dies ein Indiz für ein reguläres Beschäftigungsverhältnis.

🗸 Nutzung von Soft- und Hardware

Wenn der Auftraggeber technisches Equipment, Programme oder Tools zur Verfügung stellt, ist dies ein starker Anhaltspunkt für eine Abhängigkeit. Denn ohne die Ausstattung wären Sie gar nicht in der Lage, die Tätigkeit auszuführen. Bietet die Nutzung der Software darüber hinaus eine Kontrollfunktion, mit der Ihre Arbeit überprüft werden kann, liegt eine eindeutige Abhängigkeit vor.

🗸 Berichtwesen

Als Selbständiger führen Sie Aufträge aus, müssen aber nicht Ihren Arbeitsfortschritt in regelmäßigen Abständen melden oder zu Protokoll geben.

Tipp: Die IHK Frankfurt am Main und zahlreiche Kanzleien bieten Muster-Verträge für freie Mitarbeiter, an denen Sie sich orientieren können.

 

Wer stellt fest, ob ich scheinselbständig bin oder nicht?

Zuständig ist hier der Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Trotzdem können das zuständige Finanzamt, das zuständige Amtsgericht oder ein anderer Träger der gesetzlichen Sozialversicherung ein Feststellungsverfahren veranlassen. Wer seinen Status freiwillig checken lassen möchte, muss sich dazu an die Clearingstelle des DRV wenden.

Bewertung der Scheinselbständigkeit-Kriterien

Wie die einzelnen Kriterien gewichtet werden, dabei lässt sich der Versicherungsträger bislang nicht in die Karten schauen. Grundsätzlich ist aber folgendes bekannt: je mehr der oben genannten Kriterien Ihre Tätigkeit erfüllt, desto wahrscheinlicher ist der Verdacht und die Feststellung einer Scheinselbständigkeit – sowie deren unangenehme Konsequenzen.

Die Bereiche Umsatz, Honarhöhe und Weisungsrecht sind dabei besonders relevant, denn aus ihnen lässt sich häufig eine klare Abhängigkeit vom Auftraggeber ableiten. Trotzdem ist bei der Prüfung eines Einzelfalls ist immer das Gesamtbild entscheidend.

 

Wie kann ich verhindern, dass ich unter den Verdacht gerate, scheinselbständig zu sein?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich vor einer Scheinselbständigkeit zu schützen:

  1. Nutzen Sie die Checkliste weiter oben und verhandeln Sie Ihre Verträge entsprechend. Im tatsächlichen Berufsalltag sollten Sie darauf beharren, dass direkte Weisungen, Arbeitsberichte oder ein Nachweis Ihrer täglichen Arbeitszeit nicht dem Vertragswerk entspricht.
  2. Weisen Sie Ihren Auftraggeber darauf hin, dass ihn eine behördliche Statusfeststellung mehr schädigen würde als Sie selbst. Selbst wenn die Prüfung ergibt, dass Sie weiterhin den Status als freier Mitarbeiter behalten, zieht das Statusfestellungsverfahren in vielen Fällen eine Betriebsprüfung nach sich.
  3. Lassen Sie sich von einem Anwalt für Arbeitsrecht beraten.
  4. Wenn Sie einen neuen Auftrag erhalten, können Sie innerhalb eines Monats bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung eine Statusklärung beantragen. Die Behörde prüft in Folge, ob Sie als scheinselbständig gelten. Wichtig: Die Anfrage ist nur möglich, wenn parallel kein Statusfestellungsverfahren in Gange ist.

 

Was passiert, wenn ich als scheinselbständig eingestuft werde?

Eine nachträgliche Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses kann ernste Konsequenzen nach sich ziehen, allerdings werden freie Mitarbeiter weniger hart bestraft als der Arbeitgeber.

Für den Freiberufler sind diese Konsequenzen wahrscheinlich:

  1. Beschäftigungsverhältnis wird rückwirkend festgestellt
  2. Sozialversicherungsbeiträge müssen für drei Monate nachgezahlt werden (vorausgesetzt das Arbeitsverhältnis besteht drei weitere Monate fort)
  3. Arbeitnehmerstatus kann eingeklagt werden (d. h. Sie können bei einer erfolgreichen Klage Ansprüche auf Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall, Urlaubstage, Zulagen usw. rückwirkend geltend machen)

Die Nachforderungen der übrigen Sozialversicherungsbeiträge und die gesamten Lohnsteuerschulden liegen beim Auftraggeber. Hierbei liegt die reguläre Verjährungsgrenze bei vier Jahren, auch wenn das Vertragsverhältnis bereits länger besteht.

 

Wie verbreitet ist das Phänomen „Scheinselbständigkeit” in Deutschland?

Laut einer empirischen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2017 liegt die Anzahl der Scheinselbständigen im Haupterwerb zwischen 235.000 und 436.000 in Deutschland. Dies entspricht etwa 0,7 bis 1,3 Prozent aller Erwerbstätigen. Diese große Spanne von über Zweihunderttausend Fällen entsteht durch die juristische Abgrenzung. Grundsätzlich kann die Zuordnung zur Scheinselbständigkeit auf zwei unterschiedlichen Modellen beruhen. Ob beispielsweise der Fahrradkurier von Deliveroo oder der myTaxi-Fahrer mit Privat-PKW dazuzählt oder nicht, darüber wird im Zeitalter der so genannten Gig-Jobs vielerorts diskutiert. Gigs sind kurzfristige, kleine Aufträge, die meistens nach aktueller Verfügbarkeit angenommen und komplett digital über eine Plattform abgewickelt werden.

Das IAB meldet außerdem, dass sich die Anzahl der Scheinselbständigen seit den 90er Jahren nur unwesentlich verändert hat. Am häufigsten geraten übrigens junge Erwachsene (unter 25 Jahren) unter den Verdacht der Scheinselbständigkeit. Schlechte Arbeitsmarktvoraussetzungen begünstigen die Wahrscheinlichkeit noch zusätzlich: Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit, wenig Erfahrung im Berufsleben, Migrationshintergrund, niedriges Bildungsniveau oder geringe Qualifikation. Grundsätzlich sind Frauen häufiger betroffen als Männer.

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