Wolfgang Grupp im firma.de-Exklusivinterview: „Der Standort Deutschland kann so schlecht nicht sein“

aktualisiert am 20. Oktober 2023 12 Minuten zu lesen
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Wolfgang Grupp ist als Inhaber des Textilhersteller Trigema einer der erfolgreichsten deutschen Unternehmer und hat sich zudem in den letzten Jahren als kritischer Querdenker in Unternehmensfragen hervorgetan. Wir haben ihn gefragt, welche Tipps er Gründern geben kann, die ebenfalls ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen wollen und warum er auf den Standort Deutschland setzt.

 

Welche Tipps geben Sie Gründern mit auf den Weg?

Tipps gebe ich ungern. Ich kann schließlich niemandem, der Autos baut, erklären, wie er ein Unternehmen aufbauen soll. Aber ich bin der Überzeugung, dass ein Gründer prinzipiell zwei Dinge mitbringen muss: Er sollte erstens auf der Höhe der Zeit sein und zweitens muss er rechtzeitig den Wandel der Zeit erkennen.

Auf der Höhe der Zeit sein bedeutet, dass Gründer und Unternehmer ein besonders hohes Fachwissen in ihrem Metier mitbringen und über aktuelle technologische Trends und Marktentwicklungen Bescheid wissen sollten. Außerdem müssen sie die Abläufe in Ihrem Unternehmen kennen.

Den Wandel der Zeit zu erkennen bedeutet hingegen, dass ein Gründer erkennen muss, dass das, was er gestern gemacht hat, heute nicht mehr funktioniert. Deshalb müssen Unternehmer sich an neue Dinge anpassen sowie die Konkurrenz und den Markt immer scharf im Blick haben.

Die Globalisierung hat Unternehmen neue Märkte erschlossen, aber gleichzeitig den Preisdruck erhöht. Sehen Sie die Globalisierung eher als Chance oder Übel für die deutsche Wirtschaft?

Viele Unternehmer sehen in der Globalisierung einen Arbeitsplatzvernichter. Ich hingegen sehe in der Globalisierung generell eine Riesenchance: Vor 30 Jahren konnte ich weder nach Leipzig, Dresden, China oder Russland liefern. Doch heute kann ich diese Ziele ohne Probleme mit Waren beliefern. Aber dazu muss ich in der Lage sein, Produkte herzustellen, zu denen es auch eine Nachfrage gibt. Wenn ich dieselben Produkte produziere, mit denen einheimische Produzenten die Märkte überfluten, bin ich weder auf den neuen Märkten noch auf den deutschen konkurrenzfähig. Wer in einem Hochlohnland fertigt, dessen Produkte müssen so qualitativ sein, dass auch auf den ausländischen Märkten eine Nachfrage besteht. Ist dies der Fall, haben deutsche Unternehmen durch die Globalisierung enorme Expansionsmöglichkeiten.

Sie sehen den Produktionsstandort Deutschland als ihren Erfolgsgaranten. Wieso?

Der Standort Deutschland kann so schlecht nicht sein, denn sonst würden die Unternehmer, die im Ausland fertigen lassen nicht in Deutschland wohnen und hier ihre Villen stehen haben. Ich habe noch niemanden gesehen, der über den Standort Deutschland gemeckert hat, in Bangladesch eine Firma eröffnet und dort auch hingezogen wäre. Und wenn man hier gut wohnen kann, dann kann man hier auch gut produzieren.

Ich habe konstant auf den Standort Deutschland gesetzt, weil ich immer Vertrauen in meine Mitarbeiter hatte und ich von ihrer Qualifikation überzeugt war. Außerdem finde ich in Deutschland das notwendige Knowhow, sowohl bei meinen Angestellten als auch bei den Zulieferern.

Niemand, der seinen Produktionsstandort ins Ausland verlagert hat, ist dadurch reicher geworden. Im Gegenteil: Ob Schiesser, Jokey, Escada und viele mehr – alle in meiner oder in verwandten Branchen sind mit ihren Billigarbeitsplätzen Pleite gegangen. Das heißt, es gibt kein stichhaltiges Argument, die Produktion ins Ausland zu verlagern.

Wer in einem Hochlohnland fertigt, dessen Produkte müssen so qualitativ sein, dass auch auf den ausländischen Märkten eine Nachfrage besteht.

Aber – und da sind wir wieder beim Stichwort Globalisierung – wenn ich in einem Hochlohnland produziere, muss ich diesem hohen Lohn absolut gerecht werden und darf keine Massen- oder Billigprodukte herstellen. In diesem Punkt sind uns Billiglohnländer überlegen. Nur durch Qualität kann ich konkurrenzfähig bleiben.

Ein Automobilhersteller beispielsweise wird das beste und teuerste Auto nicht unbedingt an einem Billigstandort fertigen. Made in Germany hat einen großen Namen, weil mit diesem Siegel auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Qualität deutscher Produkte einhergeht. Verbraucher auf der ganzen Welt wissen das zu schätzen.

Wenn man Ihre Unternehmensphilosophie auf die Automobilbranche überträgt, könnte man annehmen, dass sich gerade eine ganze Branche in die falsche Richtung bewegt. Oder muss man hier unterscheiden?

Es ist schwierig hier zu vergleichen, denn wenn beispielsweise Daimler Teile seiner Produktion verlagert, ist das logisch. Daimler ist eine Weltmarke, die die ganze Welt beliefert. Wenn Daimler sagt, dass der deutsche Automobilmarkt gesättigt ist und deshalb 30 Prozent der Kapazitäten nach China geliefert werden, dann werden diese Autos auch in China produziert. Da spielen andere Überlegungen wie beispielsweise die Logistik eine Rolle. Wenn dann ebenfalls die Ingenieure und das Knowhow von Deutschland nach China verlegt wird, bedeutet das nicht, dass darunter die Qualität zu leiden hat. Doch das ist ein anderer Fall als bei Trigema.

Wenn ich bei Trigema vor Ort in Burladingen bin, habe ich den Vorteil, dass ich viel mehr Möglichkeiten zur Qualitätskontrolle habe. So kann ich beispielsweise direkt die Einhaltung der Umweltstandards kontrollieren und mir selbst ein Bild machen. Der Standort Deutschland bietet genug Chancen, aber wir müssen sie nutzen. Das geht eben nur, wenn wir Produkte fertigen, die diesem Standort gerecht werden.

Auch in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und Löhne ist Trigema einer der Top Arbeitgeber in Deutschland. Doch so ein Erfolg fällt nicht vom Himmel. Wie können es Start-ups, bei denen die Kasse knapper ist, schaffen, solche Arbeitsbedingungen zu erreichen?

Ich kann nicht sagen, ich fertige in Deutschland und kann meine Arbeiter nicht ordentlich bezahlen. Wenn ich gute Arbeitnehmer in meinem Unternehmen beschäftige, dann muss ich die selbstverständlich ordentlich bezahlen. So einfach ist das. Kann ich das nicht, weil die Kasse knapp ist, dann muss ich sie beteiligen. Dann tragen sie zwar das Risiko mit geringerem Gehalt, doch am Ende sind Sie auch am Erfolg beteiligt. In Zeiten des Fachkräftemangels ist eine ordentliche Bezahlung wichtig, damit ein Unternehmen auch eine ordentliche Leistung von qualifizierten Angestellten bekommt. Nur so können Unternehmen qualifiziertes Personal dauerhaft an die Firma binden.

Außerdem gehört zu einem guten Arbeitsplatz mehr als nur ein gutes Gehalt: Bei Trigema beispielsweise zählt auch die Zugehörigkeit zur Betriebsfamilie und die Garantie, an einem sicheren Arbeitsplatz zu arbeiten. Deshalb bekommen wir viele Initiativbewerbungen, weil wir unseren Arbeitnehmern sichere Arbeitsverhältnisse bieten können. Denn selbst viele hochdotierte Arbeitsverträge werden in vielen Unternehmen auf ein oder zwei Jahre beschränkt. Der Angestellte kann in dieser Zeit nicht seine Zukunft planen, da er sich nie sicher sein kann, ob er nach dieser Zeit übernommen wird oder einen neuen Arbeitsplatz suchen muss. Es geht also nicht nur um Gehalt, sondern auch um die Sicherheit des Arbeitsplatzes.

In den 90er Jahren haben Sie fast ausschließlich große Abnehmer beliefert. Mittlerweile hat es Trigema geschafft, einen erfolgreichen Online-Shop aufzubauen. Welche Tipps geben Sie Gründern, die ebenfalls einen Online-Shop aufbauen wollen?

Der Online-Shop war für uns realisierbar, weil wir auf unser Risiko auf Lager große Stückzahlen herstellen. Durch unsere eigenen Testgeschäfte (Outlets) haben wir eine zusätzliche Planungssicherheit. Unsere Geschäfte fungieren dabei quasi als Großkunden. Mit diesen Voraussetzungen war es uns möglich, auch Einzelteile online zu versenden. Das Online-Geschäft trägt bei uns mit knapp 10 Millionen Euro zum Umsatz bei.

Hat ein Unternehmer den Mut, das Geschäftsrisiko selbst zu tragen, handelt er überlegter, dauerhafter und verantwortungsbewusster als die Konkurrenz. Und ein paar mehr solche Unternehmer würden Deutschland guttun.

Das ist das, was ich unter dem Wandel der Zeit verstehe. Außerdem haben sich durch die wiedererstarkte Industrie zusätzlich neue Felder im Bereich der Corporate Identity eröffnet. Hier sticken wir für die Industrie und für viele Berufsgruppen die Logos in die Arbeitskleidung. Man darf in unserer Branche zu nichts Nein sagen. Ich bekomme tausende Anfragen, ob wir dieses oder jenes herstellen können. Und wenn es irgendwie machbar ist, produzieren wir auch. Und wenn jemand sagt, dass wir das noch nie gemacht hätten, dann versuchen wir es und in der Regel klappt es dann auch. Das ist aber meine Aufgabe, das zu entscheiden. Daher rate ich allen Gründern, sich nie gegen etwas zu verschließen und offen gegenüber Neuem zu sein.

Wo denken Sie muss die Politik ansetzen, damit die Gründerkultur in Deutschland erhalten bleibt?

Wir brauchen endlich wieder ein Zurück zur Anständigkeit und zur Haftung. Das heißt ich hafte mit meiner Rechtsform TRIGEMA Inh. W. Grupp e.K. für alles, was hier passiert, und wenn ich etwas zusage und es nicht einhalten würde, dann muss ich mit meinem Privatvermögen dafür haften. Viele Start-ups versuchen etwas, es geht schief, dann schmeißen sie hin. Es kann nicht sein, dass Unternehmer Millionen-Gehälter beziehen und wenn es funktioniert, dann ist es gut, doch wenn es nicht klappt, wird vorher kassiert, aber die Rechnung zahlt der Staat. Wir brauchen die Haftung der Entscheidungsträger zurück. So wie es früher war.

Was heute passiert, das hat mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Das ist am Ende Kommunismus, bei dem alles umverteilt wird. Wenn es funktioniert, dann kann kassiert werden, doch wenn es scheitert, entzieht man sich der Verantwortung und lässt andere die Kosten tragen. Das Wirtschaftswunder war nur möglich dank persönlich haftenden Unternehmern. Hat ein Unternehmer den Mut, das Geschäftsrisiko selbst zu tragen, handelt er überlegter, dauerhafter und verantwortungsbewusster als die Konkurrenz. Und ein paar mehr solche Unternehmer würden Deutschland guttun.

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